Mit den Bergfalken in Arco/TN

Tag I.

Helle Mauern mit symmetrisch verlaufenden Linien ragen eindrucksvoll über das Trentino. Die Burgruine von Arco liegt auf einem 273 Meter hohen Fels, der von den Gardaseebergen umgeben ist. Ich bin das erste Mal hier.Nach elf Stunden Bus- und Bahnfahrt durch insgesamt drei Länder habe ich mit den Bergfalken, das Klettereldorado Arco am Gardasee erreicht. Mit zehn Gruppenkindern und ihren Juleis werde ich in den kommenden fünf Tagen die Landschaften nördlich des Gardasees erkunden. Im Rahmen meines Bundesfreiwilligendienstes ist es die erste Ausfahrt, die ich begleite. Auf dem Weg zu unserem Quartier tasten meine Blicke die abrupt abfallenden Hänge ab, zwischen denen das Sarcatal mit seinen Olivenhainen eingebettet liegt. Der „Camping-Zoo“ bietet mit einem kleinen Schwimmbecken und einer Boulderwand ein ansprechendes Freizeitangebot. Doch die Lust am Naturerlebnis überwiegt, denn die größte Anziehungskraft übt die angrenzende Sarca auf die Gruppe aus. Neben einer erfrischenden Abkühlung lassen sich in der Strömung tolle Staudämme bauen. Während wir uns vor unseren Zelten versammeln, kündigen helle Blitze am Horizont ein Unwetter an. Glücklicherweise ziehen die Wolken vorbei, sodass wir ungestört das Klettersteig-Gehen für den nächsten Tag üben können.

Tag II.

Morgens um 8:00 Uhr liegt die warme, kaum abgekühlte Luft drückend über den Zelten. Nach dem Frühstück geht es los. Wir durchqueren einen dicht bewachsenen Abschnitt, in dem bewucherte Felsblöcke ein unwegsames Gelände bereiten. Als wir den Einstieg des Klettersteigs „Sentiero atrezzato Colodri“ erreichen, legen alle Helme und Klettersteig-Sets an. Angesichts der geplanten Kletterei umfasst die Packliste weitaus mehr, als nur Eigenverpflegung. Die 300 Höhenmeter erklimmen wir deshalb mit sechs Seilen, zahlreichen Expressschlingen und Sicherungsgeräten, die auf die Rucksäcke der Gruppe verteilt sind.Ich bemerke schon nach kurzer Zeit, dass ich selten eine Strecke so schnell und steil hinaufgestiegen bin. Und bedeutend seltener hat sich die Perspektive dabei so eindrucksvoll verändert! Je weiter wir uns von der Sarca entfernen, umso größer wird das Verlangen nach der Abkühlung, die wir beim Baden am Vorabend genossen haben. 

Denn als wir das erste Plateau erreichen, läuft vielen der Schweiß durch das Gesicht. Von hier aus blicken wir das erste Mal auf Arco und den Gardasee hinab. Als wir vor dem Gipfelkreuz stehen, hat die Sonne ebenfalls ihren Zenit erreicht. Unweit der Bergspitze befindet sich ein Klettergarten, den wir zum üben aufsuchen. Unbewegte Luft steht über dem hellen, staubtrockenen Kalkrelief, an dem wir uns langsam hoch tasten. Ein einprägsames Erlebnis für einige, die bislang nur die Kletterkiste kennen! Deswegen ist klettern, umfädeln und abseilen im Klettergebiet Muro dell´Asino für die Meisten ein bisher unbekanntes Szenario. Gegen 16:00 Uhr treten wir den Rückweg an. An der kleinen Kapelle im Laghel führt ein gepflasterter Kreuzweg vorbei. Als wir dort einen eingemauerten Wasserhahn entdecken, füllen wir unsere Trinkflaschen auf. Es ist heiß und wir sind durstig.Um 19:00 Uhr beginnen wir schließlich, unser Abendessen zuzubereiten. Mit „Pasta con verdure e salsa di panna“ bedienen wir uns der einheimischen Küche. 

Tag III. 

 „Einmal der Hitze entgehen!“, erhoffen sich viele. Die Idee, einen Schlucht- und Klettersteig zu begehen, wird eindeutiger Favorit in der Morgenrunde. Der Einkauf wird am Vormittag erledigt, Gegen Mittag, nach einer kurzen Busfahrt erreichen wir Drena. Der Via ferrata Rio Sallagoni verläuft unterhalb des Castel Drena, einer ausgesprochen gut erhaltenen Burganlage. Den Eingang bilden Felsblöcke, die von moosgrünen Pflanzen umrankt sind. An einer steilen Leiter begeben wir uns langsam in die kühle Schlucht hinab. Im Schatten der Felswände und durch das Flussbett begeben wir uns bergab und überqueren die Schlucht über zwei Drahtseilbrücken. Nach etwa zwei Stunden entlässt uns die Schlucht wieder in den hellen Tag. Über unbeschattete Feldwege und Landstraßen laufen wir zurück nach Arco. Dabei ziehen wir an blassen, terracottafarbenen Hausfassaden vorbei. Schwere Holzläden verbannen die Hitze. Einige Bergfalken beginnen erschöpft zu rätseln: „Wie fühlt es sich an, hier zu leben?“ An der „römischen Brücke“ von Ceniga pausieren wir noch einmal une einige nehmen ein kühles Bad. Von hier aus ist es bis zum „Camping-Zoo“ nicht mehr weit, wo uns Erfrischung und die Vorbereitung auf das Abendessen erwartet.

Tag IV.

Die Straßen zu den Placche di Baone sind eine Hommage an das leidenschaftliche Fernweh der Literatur: Den Rilke-Weg entlang passieren wir den botanischen Garten von Arco. Da wir schon um 8:30 Uhr losgewandert sind, erreichen wir die Baoneplatten früh. An den sonnigen, steilen Hängen klettern wir Routen bis drei Selilängen. Eine neue Erfahrung für einige in der Gruppe. Nach dieser Anstrengung sollte die Wasserflasche nicht die einzige erfrischende Belohnung sein. Ein weiteres Mal durchqueren wir die Altstadt von Arco, um bei Marco ein Eis zu kaufen. Nach einem abendlichen Bad in der Sarca beginnen wir mit der Tourenplanung für den nächsten Tag. Der Schmugglersteig über dem Gardasee ist unser Ziel, das wir überraschend preiswert mit einem Taxi erreichen können.

Tag V.

Die Rucksäcke waren am Vorabend gepackt, sodass wir pünktlich um 7:15 Uhr nach Pregasina aufbrechen. Über Klettersteige in Italien habe ich Eines gelernt: Wenn sie nicht Via ferrata Rio Sallagoni heißen, dann liegen sie immer in der Sonne. Eine These, die sich bestätigen sollte. Die Vorbereitungen, die wir für den Schmugglersteig (Sentiero Contrabbandieri) treffen müssen, sind für mich völlig neue Erfahrungen. Nur wenige Passagen des Klettersteiges sind mit Stahlseilen gesichert. Deshalb werden wir uns in 5er Seilschaften Richtung Limone fortbewegen. Mit Exen wird der Weg zwischen den Drahtseilen abgesichert. Die Vorderen hängen sie ein, die Hinteren müssen aushängen. So entsteht „Exen-Übergewicht“ bei einigen Personen. Besonders eindrucksvoll sind die Abschnitte, die im Topo mit C/D bewertet sind. 

Hier hangelt man sich nur an Drahtseilen über den Abgrund. An der Felswand geht es hunderte Meter senkrecht hinab. Steine, die sich aus der Wand lösen, stürzen rasant ins Tal. Unter uns beobachten wir Segelboote, die auf der blauen Wasseroberfläche gleiten. Wir sind 7 ½ Stunden in spektakulärer Umgebung unterwegs, als uns das Taxi am See abholt.Heute wird nicht gekocht. Zum Abschluss geht es in die Pizzeria Al Fiume. Hier bietet sich die Gelegenheit, sich über die Eindrücke einer spannenden Woche auszutauschen. Bei der Diskussion, welche Erlebnisse am Besten waren stellen wir fest, dass es dafür kein sinnvolles Bewertungsmaß gibt. Jede Herausforderung bringt eigene Erfahrungen und Erfolge mit sich. Bei steilen Klettersteigen oder den Baoneplatten ist der Fokus auf die unmittelbare Umgebung gerichtet. Fußstellung und Hände sind das, was man primär wahrnimmt. Umso überwältigter ist man, wenn sich einem die Aussicht schlagartig offenbart. Die Bergfalken sind sich einig: Der Gipfel des Colodristeigs war der Höhepunkt des ersten Tages! Mit ganz anderen Sinnen wurde hingegen die Tour durch die Via ferrata Rio Sallagoni wahrgenommen. Der größte Reiz lag vor allem darin, sich in der tiefen Schlucht abzukühlen.

Besonders überwältigend waren für einige die C/D Passagen im Schmugglersteig – „Schaffe ich das?“. Die imposanten Hänge waren beeindruckend und erforderten auch Mut. Die Provinz Trentino, die sich unter den hellen Mauern der Burgruine Arco ausbreitet, hat uns fünf Tage lang Raum für spannende Erfahrungen gegeben. Ein neues Gruppengefühl ist entstanden, dass wir mit nach Hause nehmen. Mit einer gewissen Vertrautheit betrachten wir noch einmal die Gardaseeberge, als wir in den Bus Richtung Trento einsteigen. 

Die spektakulären Landschaften haben bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Neben einer engagierten Jugendgruppe habe ich bemerkenswerte Aspekte der Erlebnispädagogik kennengelernt. Für eine besonders wertvolle Erfahrung halte ich das unmittelbare Erleben der Natur. Ich bin sicher, die Jugendlichen haben viele Eindrücke mitgenommen, auf die sie in ihrem Alltag zurückgreifen können.

Teilnehmer: Lea, Jana, Johannes G, Johannes H., Benedikt, Katharina, Josefine, Oskar, Henri, Conrad, LeonardRaoulEllen und Fabian